Steiggen-Kreuz

Das schlichte Holzkreuz steht im Waldgebiet Steiggen. Es wurde 1650 als Sühne für eine schreckliche Freveltat errichtet, wie die «Beriker Sage» erzählt. Letztmals wurde es nach dem Sturm Lothar 1999 erneuert.

Die Sage vom Steiggenkreuz in Berke

Aus der Zeit, als Berikon noch ein kleines Bauerndorf war und die Bauern ihr Vieh auf der gemeinsamen Allmend weiden liessen, ist uns folgende Sage überliefert.

Es war ein kalter Wintertag, die Bise wehte über die verschneiten Felder, das Wasser im Brunnentrog gefror und lange Eiszapfen hingen an den Dächern. Der Sigrist war eben auf dem Heimweg, als er bei der Mauritius-Kapelle in der Dämmerung eine Gestalt hocken sah.

Was machst du denn bei dieser Kälte und um diese Zeit noch da draussen? wollte der Sigrist wissen, und er sah gleich, dass dies keiner von den Einheimischen war. Der junge Mann schlotterte vor Kälte, in seinen verhudlleten Kleidern und wohl seit Tagen ohne warme Mahlzeit machte er einen erbärmlichen Eindruck.
Ich … ich … ich bin seit Tagen unterwegs, stotterte der junge Mann, bin ein gottverdammtes Waisenkind, ohne Vater und Mutter, im Dorf haben sie mich fortgejagt, nirgends kann ich unterkommen, nirgends lassen sie mich in Ruhe, diese Schweinehunde. Habe kein Zuhause mehr, ohne Arbeit und ohne Geld komme ich nicht weit, ich habe gebettelt und wo’s ging gestohlen. Ich gehe ja gleich, sagte er und stand auf.
So, so, ein Waisenkind bist du, sagte der Siegrist ruhig, aber fluchen kannst schon wie ein Grosser. Wo kommst du denn her?

Von überall und nirgends, was geht’s dich an? Bin schon fort, ich merke schon, du bist auch so ein armer frommer Trottel, da gibt’s wohl ausser einem harten Stück Brot und kaltem Brunnenwasser nichts zu holen.

Der Siegrist merkte wohl, dass da ein Unglücklicher vor ihm stand, und trotz der groben Rede hatte er Mitleid mit dem armen Burschen.

Kannst mit mir mit kommen, eine warme Suppe und einen Strohsack habe ich allemal für Leute wie dich. Morgen rede ich mit den Bauern im Dorf, vielleicht hat der eine oder andere Arbeit und Brot für dich.

So kam der junge Mann ins Berker Dorf und da blieb er dann auch für einige Zeit. Um sich sein Brot zu verdienen, sollte er die Kühe hüten auf der Allmend, sobald der Frühling wärmere Tage brachte. Auch konnte er im Stall helfen, misten und die Kühe melken, sie tränken und füttern. Der Junge arbeitete hart, aber oft fluchte und murrte er, hatte immer wieder etwas auszusetzen und dankbar zeigte er sich niemand gegenüber. Wenn er draussen die Kühe hütete, sang er oft derbe Lieder, er wusste grobe Spässe und erzählte unflätige Geschichten, nichts und niemand schien er zu fürchten. Das missfiel den Bauern, ja, der Bursche wurde ihnen zusehends unheimlicher, aber sie waren allemal froh um einen billigen Knecht und Hüterbub.
Die jungen Burschen und Mädchen im Dorf aber suchten oft seine Nähe, waren angetan von seinen kurzweiligen Geschichten und derben Spässen, und tanzen konnte er, das machte ihm so schnell keiner nach. Manch eines der Mädchen brachte ihm heimlich hie und da etwas zu Essen auf die Allmend. Dankbar zeigte er sich deswegen aber nie.

So kam die Fastenzeit und Ostern rückte heran. Die Berker hielten sich streng an das heilige Fasten, das erst am Ostersonntag nach der heiligen Messe aufgehoben wurde. Den jungen Mann kümmerte das wenig.
Wer arbeitet soll auch zu fressen kriegen, sagte er, nur die Dummen lassen sich vom Pfarrer irrig machen, denken kann ich, was ich will und tun und lassen auch!

Das beeindruckte die jungen Berker, und an manchen Samstagen trafen sie sich beim Rummelbach oder im nahen Wald, dann spielte einer zum Tanz auf und der junge Hüterbub erzählte Geschichten, die er weiss der Himmel wo gehört hatte.

Gut, dass meine Eltern nicht wissen, wie es da manchmal zugeht, dachte die junge Anna, die dem Hüterbub schon mehr als einmal etwas zugesteckt hatte aus der Vorratskammer ihrer Mutter. Heimlich, natürlich, sonst hätte es wohl eine Strafe abgesetzt.
So kam der Donnerstag vor Ostern, anderntags war Karfreitag, ein letzter Fastentag vor dem Osterfest.
Anna holte etwas Brot, ein wenig Speck und einen Apfel aus dem Vorrat und brachte es dem Hüterbub. Da, sagte sie, hast einen Zvieri, ich hoffe nur, Mutter merkt’s nicht, ich habs für dich gestohlen.
Ach was, gestohlen, mach doch nicht so grosse Worte für das bisschen Essen. Schnaps hast wohl keinen auftreiben können, he?
Sei nicht so unverschämt, meinte Anna zornig, schliesslich habe ich es für dich getan und wenn meine Mutter etwas merkt, zieht sie mich an den Zöpfen!
Das werden deine Alten bestimmt nicht merken, sollen halt noch mehr beten und in die Kirche rennen, dann wird’s der liebe Gott schon wieder richten. Mir ist da ein lustiges Zusammensein schon lieber, nur die Einfältigen springen dem Pfarrer hintennach und machen Glotzaugen, wenn er schöne Sprüche klopft. Ist doch alles erstunken und erlogen, aber keiner merkt’s, sitzen alle schön brav und still in der Kirche. Morgen ist Freitag, da mache ich blau, die Bauerntölpel sollen ihren Dreck selber machen, und die Kühe finden den Weg auch ohne mich auf die Allmend. Komm morgen auch und bringe deine Kumpane mit, wir wollen tanzen und feiern, Ueli soll die Handorgel mitbringen und ihr Mädchen was Ordentliches zum Saufen und zum Fressen.

Hei, du versündigst dich, rief Anna entsetzt, morgen ist Karfreitag, da gehen wir alle zur Kirche. Kommst auch mit?
Gewiss nicht, draussen ist mir viel wohler als in der engen Kirche. Morgen wollen wir es mal wieder lustig haben, dem Pfaffen und den frommen Bauern zum Trotz. Sei kein Jammerweib und komm mit!

Anna ging heim, aber wohl war ihr bei der Sache nicht.
Karfreitag ist ein besonderer Tag, überlegte sie, es ist der Todestag unseres Herrn, und Tanzen, Feiern und Singen ist seit jeher an diesem Tag verboten. Im ganzen Dorf ist es still, die Glocken schweigen, und in der Messe erklingt keine Orgelmusik. Die Alten sagen, wer sich an diesem Tag versündigt, wird die Strafe schon beizeiten erfahren. Aber lustig ist es halt schon, wenn der Hüterbub seine verrückten Geschichten erzählt und wir zu Uelis Handorgel tanzen. Die Eltern werden schon nichts merken, die haben andere Sorgen, und die Musik wird man im Dorf gewiss nicht hören.

So trafen sich denn am Karfreitag die jungen Burschen und Mädchen oben beim Berker Wald und bald ging es lustig hin und her. Die Musik und der Schnaps trugen das ihrige dazu bei, das bald alle ausgelassen tanzten und lachten und wilde Spässe trieben. Am wildesten trieb es der Hüterbub, er wusste derbe Geschichten, Spässe und Zoten, mehr als einmal errötete Anna vor Scham.
Mitten im wildesten Treiben begann es plötzlich zu blitzen und zu donnern.
Hört auf, rief Anna, es ist genug. Gott wird uns strafen für unsere Sünde, kommt, wir gehen heim!
Jetzt ist es doch eben am lustigsten, meinte Einer und der Hüterbub grinste: Wer will uns denn Strafen, etwa der liebe Gott im Himmel oben? Den gibt’s gar nicht, ist alles dummes Pfaffengeschwätz. Ha, wenn es einen Gott gibt, so sollen morgen alle Kühe rote Milch geben! Los, Ueli, spiel noch Einen, kommt, wir tanzen!

Aber einigen Burschen und Mädchen wurde es unheimlich und sie liefen heim. Immer lauter grollte der Donner, helle Blitze zuckten über den Himmel, der Tag wurde dunkel wie die Nacht. Auf der Weide brüllten die Kühe, Hunde wurde unruhig und manchen Berker ward unheimlich ob dem ungewöhnlichen Gewitter.
Am anderen Morgen kamen die Kühe muhend und brüllend von der Allmend ins Dorf gerann, die Euter prall gefüllt mit Milch. Die Bauern lenkten sie in den Stall und begannen die Kühe zu melken. Aber die Milch war nicht weiss wie an all den anderen Tagen, blutrot war sie, schrecklich anzuschauen und trinken konnte sie keiner. Von den Alten wusste sich das keiner zu erklären, und die jungen Berker schwiegen, getrauten sich nicht, ihr Vergehen vom Karfreitag zu beichten.
Es war schliesslich Anna, die ihre Eltern berichtete, was am Karfreitag geschehen war. Sie erzählte, wo sie gewesen war mit den anderen Jungen, dass sie getanzt hätten und der Ueli auf seiner Handorgel gespielt habe. Und wie der Hüterbub Gott gelästert hätte, als das Gewitter losgebrochen sei. Wenn es einen Gott gibt, so sollen die Kühe rote Milch geben, das hat er gesagt, berichtete Anna, da ist es mir und ein paar Anderen unheimlich geworden ob diesem Fluchen, wir sind heim gegangen, aber die anderen haben mit dem Hüterbub noch bis in alle Nacht hinein getanzt und gespielt. Bald wusste das ganze Dorf, was am Karfreitag im Wald oben geschehen war. Die Gotteslästerei des Hüterbuben war also schuld daran, dass die Kühe rote Milch gaben.
Ja, der Hüterbub! Wo war er denn? Niemand hat ihn an diesem Morgen gesehen. Und auch am nächsten und übernächsten Tag blieb er verschwunden. Niemand hat ihn weglaufen gesehen, niemand wusste, wo er war. War er vom Blitz getroffen worden oder hatte ihn am Ende der Erdboden verschluckt?
Die Kühe gaben weiterhin rote Milch, ein Schrecken war das. Dieser Frevel musste gesühnt werden, so wie es die Alten von jeher getan hatten. Und so errichteten die Berker zur Sühne für diese Schandtat auf der Steiggenweide ein Kreuz. Als es aufgestellt und gesegnet worden war, da gaben die Kühe wieder gesunde weisse Milch wie ehedem.
Das Kreuz steht noch heute im Wald auf Berikon-Boden, es soll uns daran erinnern, dass wir Heiliges nicht verfluchen und Verantwortung tragen, nicht nur für unser Handeln, auch für unser Reden.